Gedenkstein  
„Vergesst uns nicht“- Vergesst uns nicht, waren die letzten Worte so manchen Häftlings, der in den Armen eines Kameraden starb, war die Botschaft aus den letzten Blicken vieler Sterbender. „Vergesst uns nicht“ das ist der Auftrag, dem wir uns verpflichtet fühlen.
 
 

Gefangene
Zeichnung: Wilhelm Sprick


 

Gedenkveranstaltung zur Verlegung des Speziallagers
nach Oranienburg vor 65 Jahren
am 4. September 2010
Einladung
| Presseberichte
Vorstellung unseres Vermächtnisses

Ansprache des Zeitzeugen Detlev Putzar
Ansprache von Ministerin Martina Münch
Ansprache von Superintendent i.R. M. M. Passauer


ORANIENBURGER GENERALANZEIGER 06.09.2010 (Oranienburg/Leegebruch)
Von Sarah Wessel

Trauernde, fern jeder Ideologie

Im August 1945 kamen die ersten Häftlinge des sowjetischen Geheimdienstes in das Speziallager Sachsenhausen


ORANIENBURG Wenn sich die Gedenkorte für Opfer des sowjetischen Geheimdienstes und Opfer des NS-Regimes auf einem Gelände befinden, sind Spannungen schwer vermeidbar. Auch wenn alle ein Ziel haben: Frieden über den Gräbern und eine Erinnerung, die für immer bleibt.
Die Atmosphäre war friedlich.
Eine gemeinsame Einladung der verschiedenen Gruppen zu einer Gedenkveranstaltung könnte der richtige Schritt sein. Den sind die Arbeitsgemeinschaft Lager Sachsenhausen 1945 bis 1950 und die Gedenkstätte Sachsenhausen am vergangenen Wochenende gegangen. Im Vordergrund standen dennoch die Opfer des sowjetischen Geheimdienstes NKWD. Denn vor 65 Jahren wurde das Speziallager Nr. 7 von Weesow bei Werneuchen nach Sachsenhausen verlegt.

Am Abend des 16. August 1945 kamen die ersten geschwächten Häftlinge nach einem Fußmarsch von rund 40 Kilometern in dem Lager an, bis 1950 sollten ihnen weitere 55 000 folgen.

Detlev Putzar zum Beispiel, der im Frühjahr 1950 zusammen mit seinem Bruder das Speziallager erreichte. Die beiden waren noch Kinder, 15- und 16-jährig, und dachten "Nimm Abschied vom Leben", als sie das Lager erblickten, erinnerte sich Putzar. So oft habe er sich bei Anbruch der Nacht gefragt, ob der Morgen kommen würde. Doch er kam, immer wieder, und Detlev Putzar überlebte.

Julius Scherff, der schon von den Nazis inhaftiert worden war, wurde im Juni 1946 von der sowjetischen Besatzungsmacht eingesperrt. Der Sozialdemokrat hatte dem Zusammenschluss von KPD und SPD nicht zugestimmt. Die Sowjets nahmen ihm wegen dieser Ideale sein Leben: Scherff starb 1947 in Sachsenhausen.

Paul Radicke kam 1947 mit 18 Jahren nach Sachsenhausen, weil er ein Flugblatt mit "SED-Spott", das nicht mal aus seiner Feder stammte, weitergereicht hatte. 82 lange Monate brachte er in Speziallagern zu. Doch er hat überlebt und immer versucht, die Erinnerung an diese Zeit wach zu halten.

Theodor Kuntze überlebte Sachsenhausen nicht. Einst NSDAP-Mitglied, bekam der Busfahrer 1945, als sein Sohn Manfred sieben Jahre alt war, eine Vorladung. "Ich weiß noch, dass er meine Mutter bat, ihm doch eine Stulle mehr zu machen, weil er nach der Arbeit noch zur Polizei musste", sagt Manfred heute. Doch der Vater kam nicht zurück. Bis 1995 wusste Manfred nicht genau, was passiert war. Als seine Mutter 1955 eine Todesurkunde verlangte, bekam sie zu erfahren, dass ihr Mann als Kriegsverschollener für tot erklärt wurde. In der DDR waren Nachforschungen verboten, so wurde der Tod seines Vaters erst nach der Wende Gewissheit.

Etwa 60 000 Menschen waren von 1945 bis 1950 im Speziallager Sachsenhausen untergebracht. Ungefähr 12 000 von ihnen starben. "Es fällt mir sehr schwer, an diesem Ort ein Gebet zu sprechen", sagte auch Generalsuperintendent Martin-Michael Passauer beim ökumenischen Gottesdienst, der die Gedenkveranstaltung eröffnete.

Vorgelesen wurde in diesem auch das Vermächtnis der Arbeitsgemeinschaft, das die Erinnerungen wachhalten soll: "Nichts, was zum Überleben erforderlich ist, war in ausreichendem Maße vorhanden (...) Die verwanzten Baracken waren überbelegt und der Tod allgegenwärtig. (...) Die Häftlinge litten unter der Isolation von der Außenwelt, war doch in diesem ‚Schweigelager‘ jeglicher Kontakt mit den Angehörigen unterbunden (...) Die Lagerinsassen waren zur absoluten Untätigkeit verdammt (...), jede Selbstbeschäftigung war mit Strafe bedroht."

Wie viele ehemalige Häftlinge heute noch leben, kann niemand sagen. Die Arbeitsgemeinschaft hat etwa 250 Mitglieder, so deren Vorsitzende Victoria Heydecke. "Doch nicht jeder sucht den Weg der Verarbeitung über die Gedenkstätte", gab der wissenschaftliche Mitarbeiter der Gedenkstätte, Alexander Heinert, zu bedenken.

Schon seit den 1990er Jahren kommen trotzdem viele von ihnen jedes Jahr nach Sachsenhausen. Erst nach der Wende begann die öffentliche Auseinandersetzung mit den in Vergessenheit geratenen Verbrechen des sowjetischen Geheimdienstes. Denn in Sachsenhausen wurden damals drei Massengräber entdeckt.

Heute, 20 Jahre später, wurde vieles aufgearbeitet. In den russischen Unterlagen beispielsweise wurden die Namen entdeckt und mühsam aus dem Kyrillischen übersetzt. "Man muss sich das vorstellen", erklärte der Sprecher der Gedenkstätte, Dr. Horst Seferens, "die Namen der Gefangenen wurden nur vom Hören her in einer anderen Sprache aufgeschrieben". Großer Aufwand sei betrieben worden, um zu den russischen Angaben die passenden deutschen zu finden. "Uns war es sehr wichtig, dass die Namen in dem Totenbuch korrekt sind", so Seferens. Dieses wurde auch am vergangenen Wochenende präsentiert. Es enthält Grußworte, Erläuterungen und eben 11 980 Namen und Geburts- sowie Sterbedaten von toten Opfern des Lagers. Das Totenbuch ist ein wichtiges Zeugnis für die nachfolgenden Generationen. Doch sind solche Dinge lebendig genug?

Horst Jänichen, stellvertretender Vorsitzender des Internationalen Beirats der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, hat seine Zweifel: Historiker könnten die Dinge einfach nicht so gut vermitteln. Es sei ganz anders, einem Zeitzeugen wirklich zu begegnen. Professor Dr. Bernd Faulenbach von der Ruhr-Universität Bochum gab zu bedenken, dass auch Historiker Lebensbilder zeichnen könnten.

Gedenkstätten sind in jedem Fall bedeutend. Kulturministerin Martina Münch (SPD) legte deshalb Kommendes dar: So soll die Zuwegung in der Gedenkstätte zum ehemaligen Speziallager verbessert werden. Zudem seien neue Stelen im Besucherleitsystem geplant. Paul Radicke lobte Münchs Sensibilität für ihre Belange. "Eine Sensibilität, die wir sonst oft vermissen", sagte er in Richtung von Stiftungsdirektor Morsch. Er ließ anklingen, dass sich die Arbeitsgemeinschaft anstelle des Speziallager-Museums eine sanierte Baracke gewünscht hätte, in der man wirklich sieht, wie die Häftlinge damals lebten. Auch, beschrieb dieser, dass sich die Arbeitsgemeinschaft diskriminiert fühle, was die Stiftungsprioritäten angeht.

Martina Münch brachte das Ziel aller auf einen Punkt: "Weder die vor, noch die nach 1945 verübten Verbrechen dürfen relativiert, bagatellisiert, marginalisiert oder gegeneinander aufgerechnet werden."

Ähnlich formuliert es die Arbeitsgemeinschaft: "Verbrechen sind Verbrechen, unabhängig davon, im Namen welcher Diktatur und welcher Ideologie sie verübt wurden."


Das Gefängnis der Befreier


Speziallager Nr.7 / Nr.1 vor 65 Jahren errichtet


ORANIENBURG (saw, 06.09.2010, Titel) Um an die Errichtung des Speziallagers Nr. 7 / Nr. 1 in Sachsenhausen vor 65 Jahren zu erinnern, trafen sich am Sonnabend etwa 200 Menschen. Unter ihnen waren Zeitzeugen sowie deren Familien und Freunde. Zwischen 1945 und 1950 sperrte der sowjetische Geheimdienst NKWD dort rund 60 000 Menschen ein. Etwa 12 000 von ihnen starben. "Jedes einzelne Opfer steht für das Unrecht und das Leid, das Menschen erdulden mussten und für die Verbrechen, die an diesem Ort verübt wurden", sagte Brandenburgs Kulturministerin Martina Münch (SPD). Wie wichtig die Auseinandersetzung mit dem Verbrechen ist, verdeutlichte auch Dr. Günter Morsch, Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten: Jährlich würden Hunderte von Briefen an die Gedenkstätte geschickt, in denen die Angehörigen der Toten nach dem Schicksal der Verschwundenen forschen.

Zur Veranstaltung hatten die Gedenkstätte Sachsenhausen und die Arbeitsgemeinschaft Lager Sachsenhausen 1945 bis 1950 gemeinsam eingeladen. Ein Totenbuch mit den Daten zu 11 980 im Lager Verstorbenen wurde vorgestellt. Außerdem bekam der Überlebende Paul Radicke (Foto) für die Errichtung einer Gedenkstätte in Meiningen das Bundesverdienstkreuz. Dort hatte er die Überreste von NKWD-Opfern entdeckt. (Oranienburger Generalanzeiger)

Texte und Fotos: mit freundlicher Genehmigung des Oranienburger Generalanzeiger


Bericht des Vorstandes für den "Stacheldraht" Dezember 2010 (wird noch ergänzt)



Detlev Putzar,
Zeitzeuge: Wir ließen 12.000 Tote zurück


ORANIENBURG, Ansprache auf dem Kommandantenhof, 4. September 2010

Verehrte Anwesende, liebe Schicksalsgefährten und Freunde!
Im Frühjahr vor 60 Jahren gingen von hier Gefangenentransporte in die Sowjetunion und in die Zuchthäuser eines Staates, den es bei unserer Verhaftung noch nicht gab. Es war die Geburtsstunde unserer Stasiakten. Das Speziallager 7 leerte sich. Wir ließen 12 000 Tote zurück. Vor 20 Jahren wurde das Schweigen über diesen zur Öde gewordenen Lagerteil gebrochen. Sprechen wir also für die 12 000 und von uns, die wir gelobten, die Toten nicht zu vergessen.

Wir waren 15 und 16 Jahre alt, mein Bruder und ich, als wir im September 1946 - in Handschellen geschlossen - mit dem ersten Strafgefangenentransport hier in der 2. Zone ankamen. Unser erster Eindruck: Nimm Abschied vom Leben. Ein Jahr lag unsere Verhaftung bereits zurück. Folterkeller, Militärtribunal und Zuchthauszelle folgten. 5 Haftjahre lagen noch vor uns; andere litten noch länger; viele starben.

Da steht das Kreuz hoch aufgerichtet als Symbol für hohe sittliche Werte, für Vergebung, Sühne und Erlösung. Uns zu Füßen liegt unser Golgatha. So oft wir diesen Campus des Todes betreten, rufen wir ein Geistiges zur Gegenwart auf - die Wahrheit. Die Wahrheit als Zeugin der Wirklichkeit eines tausendfachen, wissentlich herbeigeführten Todes. Ich sage wissentlich, weil eine Tötungsabsicht diejenigen verneinen, die wohl die tote Wirklichkeit der blutlosen Akten kennen, nicht aber die Wahrheit der lebendigen Wirklichkeit des mitleidlosen Geschehens.
Wie oft, liebe Freunde, starb in der Dunkelheit und Enge der Baracken die Zuversicht, jemals wieder frei zu sein. Wie oft starb in der Würdelosigkeit demütigender Haftumstände der Glaube an Gerechtigkeit. Wie oft starb bei einbrechender Nacht die Gewissheit, einen neuen Morgen zu erleben. Da war der immerwährende, quälende Hunger und die zehrende seelische Not, von zuhause nichts zu wissen. Da war die Angst, im Ekel primitivster hygienischer Verhältnisse tödlich zu erkranken. Es war die amtlich organisierte Sinnlosigkeit der immer gleichen, dumpfen und zukunftslosen Elendsjahre, die den letzten Funken Hoffnung zum Erlöschen brachte, die den Lebenswillen schwächte und damit das Sterben wissentlich förderte.
Unsere Stimme, die Stimme der Überlebenden wird schwächer, wohl bald zu leise sein, um in angemessener Weise das Andenken an die Opfer sowjetischer Willkür wach zu halten. Der Prozess des Alterns hat Modifikationen am streng Tatsächlichen vorgenommen und wir müssen uns fragen, ob unsere Reden die Erwartungen erfüllen, die die Vielen an uns stellen dürfen, die hier ein schmähliches Ende fanden. Und ob wir ihren letzten Empfindungen gerecht werden, wenn wir von der Bösartigkeit dieses Ortes Zeugnis geben. Aber, liebe Freunde, ist dies denn wirklich der Ort, dessen Anblick damals allein genügte, alle Hoffnung auf ein gutes Ende fahren zu lassen? Nur ein paar Steinbaracken haben sich erhalten, weil sie der Nachfolgediktatur nützlich waren.
Jahr um Jahr kommen wir an diese Massengräber, um hier in Trauer und Nachdenklichkeit stille Zwiesprache zu halten und geistige Begegnung zu suchen. Doch mit der Rückbesinnung auf den düstersten Abschnitt unseres Lebens und auf den Tod so vieler Menschen, die uns in der großen Not Leidensbrüder waren, wird auch das Bild des Tatortes wieder lebendig, den wir hier jedoch nicht mehr finden. Die Zone 11 mit über 50 großen Baracken und Gebäuden wurde von der Nachkriegsdiktatur eingeebnet. Ein Wald verbirgt die Stätte der Stammbaracken des einstigen Ostlagers. Es ist ein verfälschendes Verbergen, das die erweiterte Größe des sowjetischen Speziallagers nicht erkennen lässt. Wir werden nicht müde, um Verständnis und Gerechtigkeit zu werben, was die Hierarchisierung der Opfer angeht und für die Kenntlichmachung des Ortes, wo sich ihr Schicksal erfüllte.

"Hab Achtung vor dem Menschenbild", fordert der Dichter Friedrich Hebbel und weist auf den in jedem Menschen verborgenen Keim zu allem Höchsten hin.
Diese Achtung vor jedem Menschen, lässt uns auch der Häftlinge gedenken, die während der nationalsozialistischen Diktatur im KZ Sachsenhausen starben. Das Bewusstmachen des menschlichen Aspektes der Tragödien und die Achtung vor der Schicksalstragik jedes Einzelnen in dem großen Totenheer lässt erwarten, daß die Trennung des Opferleides bis zum Kriegsende, von dem Opferleid danach durch eine Wertung, einmal überwunden sein wird. Das Europaparlament hat den 23. August zum Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus und des Kommunismus erklärt. Über der 2. Zone des Speziallagers und ihren Massengräbern, lag 45 Jahre lang politisch verordnetes Schweigen und noch heute gelangt kaum eine Besuchsführung bis zu diesem Gräberfeld!
Ihr Tausende in diesen Massengräbern, ihr seid nicht vergessen. Euer Tod bleibt uns Mahnung und Verpflichtung, Lehren aus der Geschichte zu ziehen. Ihr könntet heute zu uns sagen: "Verloren wir auch unser Leben, so rettet doch unsere Würde. Wir wissen von keiner todeswürdigen Schuld, für die wir leiden und sterben mussten. Möge sich euch Glücklicheren ein Geist der Versöhnung enthüllen und sich in einem dauernden Frieden als Keim zu allem Höchsten entwickeln." … Es ist an uns, verehrte Teilnehmer an dieser Gedenkstunde, ihrem Tod eine Bedeutung in dieser Hoffnung auf Versöhnung zu geben. Diesen Impuls wollen wir in die Zukunft tragen. Auch dafür, denke ich, wurde das Kreuz errichtet.

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