Gedenkstein  

„Vergesst uns nicht“
- Vergesst uns nicht, waren die letzten Worte so manchen Häftlings, der in den Armen eines Kameraden starb, war die Botschaft aus den letzten Blicken vieler Sterbender. „Vergesst uns nicht“ das ist der Auftrag, dem wir uns verpflichtet fühlen.
 
 

Gefangene
Zeichnung: Wilhelm Sprick


 

Gedenkveranstaltung zur Schließung des Speziallagers vor 60 Jahren
1200 Luftballons für die Toten des Lagers stiegen auf | Programm
Schirmherrschaft: Ministerpräsident Matthias Platzeck | Grusswort
& Stiftung Aufarbeitung am 27.3.2010 in Oranienburg
| Stacheldraht

Foto: Oranienburger Generalanzeiger, Latton
Foto: Oranienburger Generalanzeiger, Latton

ORANIENBURGER GENERALANZEIGER (Oberhavel) 29.03.2010
Von Friedhelm Brennecke

Hier starb keiner zu Recht

Gedenken an die Opfer des NKWD-Speziallagers Sachsenhausen

ORANIENBURG Mit einem Massenstart von 1 200 Luftballons erinnerte die Arbeitsgemeinschaft Lager Sachsenhausen am Sonnabend an die Schließung des sowjetischen Speziallagers vor 60 Jahren.
"Wir fordern von der Gedenkstätte und der Politik endlich, dass die Zone II des Speziallagers zugänglich und für Besucher mit Schautafeln erklärt wird", sagte Victoria Heydecke, die Vorsitzende der "AG Lager Sachsenhausen 1945 bis 1950", zu Beginn der Gedenkveranstaltung. Gerade diese Zone des Lagers, die als besonders grausam galt, müsse als Lagerbereich wieder erkennbar werden. "Hier starb keiner zu Recht. Die Opfer des Speziallagers haben es verdient, nicht dem Vergessen anheim zu fallen", so Heydecke, deren Vater auch in Sachsenhausen starb. Sie erinnerte an die 12 000 Toten, die das Speziallager, in dem insgesamt 60 000 Menschen interniert waren, gefordert habe.

Nur die wenigsten wüssten, dass auch mehr als8 300 Russen und andere Osteuropäer im Speziallager Sachsenhausen eingesessen hätten.

Im Oranienburger Bürgerzentrum diskutierten anschließend Zeitzeugen und Wissenschaftler über die Gräuel der Lager und den Umgang der Politik damit. Als Schlussfolgerung steht dabei für den Bochumer Historiker Professor Dr. Bernd Faulenbach fest, "dass die nationalsozialistischen Verbrechen nicht relativiert und die stalinistischen Verbrechen nicht bagatellisiert werden dürfen."

Foto: Oranienburger Generalanzeiger, Latton Foto: Oranienburger Generalanzeiger, Latton
Fotos: Oranienburger Generalanzeiger, Latton

Gegen das Vergessen
Zeitzeugen und Wissenschaftler erinnern an Sowjetische Speziallager

von Marcus Latton

ORANIENBURG. Mit Vorträgen und Zeitzeugenberichten informierte die Arbeitsgemeinschaft Lager Sachsenhausen 1945-1950 am Sonnabend im Oranienburger Bürgerzentrum über das sowjetische Speziallager in der Stadt, in dem 12 000 Menschen ihr Leben lassen mussten.

Als Reinhard Wolff kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 im Alter von erst 16 Jahren von sowjetischen Soldaten festgenommen wurde, wusste er kaum, wie ihm geschah. "Man warf mir plötzlich vor, ich sei Mitglied der Werwölfe gewesen", sagt Wolff. Die Freischärler-Einheiten "Werwölfe" wurden 1944 von Reichsführer-SS Heinrich Himmler ins Leben gerufen und bestanden vor allem aus kampfunerfahrenen Hitlerjungen und jungen SS-Männern. Allein der Verdacht der Mitgliedschaft genügte den sowjetischen Besatzern oft schon, um Jugendliche zwischen 1945 und 1950 in eines ihrer Speziallager zu stecken. Auch Teile des Konzentrationslagers Sachsenhausen wurden nach dem Krieg dafür genutzt. Dort wurde Reinhard Wolff drei Jahre lang gefangen gehalten.

Die menschenunwürdige Behandlung der Häftlinge und Strafmaßnahmen innerhalb der Lager veranschaulicht er dabei an einer Episode, die ihm während seiner Zeit in Sachsenhausen widerfahren ist: "Im Lager habe ich in einer Holzwerkstatt gearbeitet. Als ich eines Tages die Tür einer Offiziersbaracke reparieren sollte, stand dort ein Topf Suppe. Ich war wie alle anderen extrem ausgehungert und konnte nicht widerstehen, von der Suppe zu probieren. Doch die Wachmannschaften haben mich dabei erwischt."

Zur Strafe wurde Wolff in einen winzigen, unbeheizten Raum mit 18 anderen Häftlingen gesperrt. Keine Fenster, kein Licht, keine Toiletten. "Der Gestank dort drin war unerträglich. Einmal am Tag durften wir den Raum verlassen. Es war Winter, und wir wurden gezwungen, uns beim Ausgang nackt in den Schnee legen", beschreibt er die Tortur. Nach zwölf Tagen in der finsteren Kammer wurde er auf Druck eines polnischen Mithäftlings, der die Holzwerkstatt leitete, freigelassen, vermutet er heute. 1948 wurde er schließlich gänzlich aus dem Lager entlassen.

Mit Zeitzeugenberichten wie diesem und wissenschaftlichen Vorträgen hat die Arbeitsgemeinschaft Lager Sachsenhausen am Sonnabend vor knapp 60 Zuhörern im Oranienburger Bürgerzentrum an die Speziallager in der sowjetischen Besatzungszone in Deutschland erinnert, die vor 60 Jahren aufgelöst wurden.

In den zehn Lagern kamen zwischen 1945 und 1950 von etwa 143 000 Häftlingen mindestens 43 000 Menschen ums Leben, davon 12 000 in Sachsenhausen. Inhaftiert wurden neben echten und vermeintlichen Nationalsozialisten unter anderem auch Sozialdemokraten, Adlige, Großbauern und Juden.

Der Soziologe Falko Werkentin ist stellvertretender Landesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen des Landes Berlin und hat sich intensiv mit dem Justizsystem der DDR beschäftigt. In Oranienburg referiert er über die sogenannten Waldheimprozesse im Jahr 1950.

Diese wurden auf Initiative der SED-Führung veranstaltet, die Josef Stalin 1949 davon überzeugte, die Speziallager aufzulösen und die Inhaftierten vor DDR-Gerichte zu stellen. "Das waren natürlich in erster Linie politische Verfahren, in denen das Ergebnis von vornherein feststand", so Werkentin. Denn statt Richtern und Staatsanwälten wurden die 3 385 Angeklagten unter Ausschluss der Öffentlichkeit von SED-Parteifunktionären verurteilt. In 32 Fällen lautete das Urteil: Todesstrafe. "Natürlich wurden dort auch NS-Täter bestraft. Trotzdem waren diese Prozesse Justiz-Verbrechen."

Wie diese juristische Willkür in Waldheim aussah, beschreibt der Zeitzeuge Joachim Schmidtchen: Er wurde 1946 festgenommen und vier Jahre lang in Sachsenhausen interniert, weil er in Berlin SPD-Plakate geklebt hatte. "Im Prozess sagte man mir dann, ich hätte mich an der Gründung einer Nazi-Organisation beteiligt, um die Vereinigung von KPD und SPD zu verhindern."

Für einen Rückblick auf die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit in Ost- und Westdeutschland sorgte indes Professor Dr. Bernd Faulenbach, der an der Ruhr-Universität Bochum Geschichte lehrte. "Der Holocaust spielte in der Erinnerungskultur der DDR keine große Rolle. Vielmehr wurde der politische Kampf der Kommunisten gegen den Faschismus in den Vordergrund gerückt", sagt Faulenbach. "Außerdem war die Entnazifizierung nach dem Krieg mit dem Aufbau der Diktatur verschränkt."

Doch auch die westdeutsche Aufarbeitung kritisiert er: "Eine tiefgreifende Analyse der gesellschaftlichen Ursachen der Nazi-Herrschaft fand im Westen erst sehr spät, in den 1980er Jahren statt." Die Verbrechen der realsozialistischen Staaten seien laut Faulbach zudem erst nach Ende des Kalten Krieges in das Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt. Dennoch müssten beide Herrschaftsformen unter einem jeweils eigenem Blickwinkel betrachtet werden: "Die nationalsozialistischen Verbrechen dürfen nicht relativiert und die stalinistischen Verbrechen nicht bagatellisiert werden."

Texte und Fotos: mit freundlicher Genehmigung des Oranienburger Generalanzeiger


Bericht des Vorstandes für den "Stacheldraht" Mai 2010

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