Gedenkstein  

„Vergesst uns nicht“
- Vergesst uns nicht, waren die letzten Worte so manchen Häftlings, der in den Armen eines Kameraden starb, war die Botschaft aus den letzten Blicken vieler Sterbender. „Vergesst uns nicht“ das ist der Auftrag, dem wir uns verpflichtet fühlen.
 
 

Gefangene
Zeichnung: Wilhelm Sprick


Gedenkveranstaltung der Arbeitsgemeinschaft
Lager Sachsenhausen 1945 - 1950 zum 60. Jahrestag der
Schließung des NKWD-Lagers
Sachsenhausen

unter der Schirmherrschaft des Ministerpräsidenten Matthias Platzeck und gefördert durch die Bundesstiftung Aufarbeitung

von
Victoria Heydecke und Mariagnes Pense

Am 27.03.2010 erinnerte die Arbeitsgemeinschaft Lager Sachsenhausen 1945 - 1950 an die Schließung des NKWD-Lagers Sachsenhausen im März 1950. Auf dem Kommandantenhof gedachte sie vor allem der Menschen, deren Weg in den Massengräbern des Lagers endete. Knapp 12 000 sind bisher namentlich bekannt. Mit einem Massenstart von 1 200 weißen Luftballons machten wir auf das schwere Schicksal dieser Menschen aufmerksam und gaben ihnen symbolisch die Freiheit wieder, die ihnen in ihrem irdischen Leben verwehrt worden war. Es war ein bewegender Augenblick, als die Luftballons nach einem kurzen Verharren in Bodennähe in den Himmel schwebten.

Der 27.03.2010 war auch ein Tag der Zeitzeugen. Sie wurden von ARD, ZDF, dem Oranienburger Generalanzeiger und dpa interviewt und kamen zu Beginn der Vortragsver-anstaltung im Bürgerzentrum von Oranienburg zu Wort. Sie alle waren bei Ende des Krieges gerade dem Kindesalter entwachsen, bis auf eine Frau, die hinter den Gittern des NKWD geboren wurde. Sie alle wurden über viele Jahre ihrer Freiheit, Gesundheit und Jugend, bzw. Kindheit beraubt. Die Frage nach Unschuld oder Schuld hatte für ihre Einweisung in das Lager keine Rolle gespielt und in vielen Fällen auch nicht für ihre Entlassung.

Für unsere Veranstaltung hatten wir namhafte Wissenschaftler gewinnen können: Falco Werkentin, Prof. Bernd Faulenbach, Dr. Jan Foitzik, Dr. Olaf Kappelt. Prof. Klaus-Dieter Müller und schließlich auch noch Dr. Alexander Heinert, der erst seit einigen Monaten wissenschaftlicher Mitarbeiter der Gedenkstätte ist. Sie alle einte das Bestreben, mit der knappen ihnen zur Verfügung stehenden Redezeit auszukommen und sich auf das Wesentliche zu beschränken. Sie wurden hierbei von Dr. Ulrich Mählert von der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur unterstützt, den wir als Moderator gewinnen konnten und der es mit Charme verstand, alle Teilnehmer zur Einhaltung des engen Zeitrahmens zu ermuntern. Trotz unterschiedlicher Ansätze waren alle Wissenschaftler nicht weit voneinander und von den Zeitzeugen entfernt in der Beurteilung des Ziels, das die Besatzungsmacht Mitteldeutschlands vom ersten Tag ihres Einmarschs in Deutschland verfolgte: Die Umformung der Gesellschaft Ostdeutschlands in eine Moskau-hörige Diktatur, bzw. der Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft mittels einer Diktatur. Soweit sie das Thema berührten, ließen sie keinen Zweifel daran, dass auch die massenhaften Inhaftierungen von diesem Ziel bestimmt waren und dass es häufig von Zufällen oder Willkür abhing, wer schließlich in der nationaldemokratischen Partei, den Organen der kommunistischen Partei oder der neuen sich in Mitteldeutschland bildenden Verwaltung landete oder in einem der Lager.

So wurden Jugendliche, die für die SPD – eine zunächst zugelassene Partei - Plakate geklebt hatten, bei der Schließung des Lagers nicht in die Freiheit entlassen, sondern der jungen SED-Diktatur zur Aburteilung in den berüchtigten Waldheimer Prozessen übergeben. Diese Prozesse widersprachen, wie später das Kammergericht feststellte, allen rechtsstaatlichen Grundsätzen, so dass die von ihnen verkündeten Urteile unheilbar nichtig waren, wie „Falco“ Werkentin erläuterte. Sie waren der Anfang der Unrechtssprechung in der DDR und jedes einzelne Urteil ein Verbrechen, auch wenn es zufällig einmal einen Schuldigen traf. Aus Sachsenhausen wurden 450 Häftlinge in die Waldheimer Prozesse geschickt. Dass unter ihnen Schuldige waren, ist uns nicht bekannt, aber nicht auszuschließen, da der NKWD häufig auf eine Klärung der Schuldfrage verzichtete. Tausende von SMT-Verurteilten wurden der jungen Diktatur zur Verbüßung ihrer „verdienten“ Strafe übergeben. Sie hatten gehofft, sie würden es bei den Deutschen besser haben. Die Grausamkeit der Deutschen überstieg jedoch die des sowjetischen Bewachungspersonals erheblich. Obwohl viele Gefangene sichtbar krank und so geschwächt waren, dass sie nur mühsam vorankamen, wurden sie geschlagen, wenn sie nicht so schnell laufen konnten, wie ihnen befohlen wurde. Haftunfähige wurden auch hier nicht entlassen.

Wie Klaus Dieter Müller deutlich machte, gab es in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) nach Besetzung Mitteldeutschlands keinen aktiven Werwolf. Er war ein Wunschtraum von Himmler und Göbbels geblieben, eine letzte „Wunderwaffe“, die versagte. Die Deutschen waren nach der Besetzung Deutschlands kriegsmüde. Auch die Hitlerjungen. Sie waren zudem zu bedingungslosem Gehorsam erzogen worden, nicht aber zu selbstständigem Handeln und hatten keinerlei Unterstützung aus einem vom Feind unbesetzten Raum, wie er den Partisanen der Sowjetunion zur Verfügung stand. Die westlichen Alliierten erkannten dies sehr schnell. Anders der sowjetische Geheimdienst. Er erwartete eine Werwolfbewegung. Und er wurde fündig. Viele Jugendliche, ja sogar Kinder wurden verhaftet, als Werwölfe gefoltert bis sie gestanden, was sie nicht getan hatten und zum Teil auch die Namen anderer nannten. Viele von ihnen wurden zum Tode verurteilt und erschossen oder kamen in den unmenschlichen Lagern um. Die meisten wurden rehabilitiert.

Herr Heinert ließ vor unseren Augen das Chaos entstehen, das Stalin für die Menschen geschaffen hatte, die er zu Tausenden verhaften ließ. Es gab keine einzige Stelle, die für ihre Unterbringung und Versorgung zuständig war, keinen, der sich verantwortlich fühlte. Ein Massensterben war damit vorprogrammiert. Dennoch gab es kaum Entlassungen, keine Zulassung von Hilfe durch Angehörige oder das Rote Kreuz.

(erschienen im "Stacheldraht" Mai 2010)

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